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Helga de la Motte-Haber. Ton-Räume-Felder-Objekte

 

 

Klang und Raum - damit ist ein Thema angeschnitten, das auf eine jahrhundertalte Tradition künstlerischen Denkens verweist. Architekturmetaphern wurden seit dem Beginn der Neuzeit zur Beschreibung von Musik verwendet und umgekehrt ist die Charakterisierung der Architektur als verstummter Tonkunst (Goethe) oder als geforener Musik (Schelling) zum geflügelten Wort geworden. Das Thema Klang und Raum wurde jedoch im 20. Jahrhundert zu einer  intensiven Herausforderung, Naturwissenschaftliche Erkenntnisse haben die die alltäglichen Dimensionen der räumlichen Orientierung infrage gestellt. Die axiomatische Trennung von räumlichen und zeitlichen Vorgängen ist nur mehr als ein Konstrukt zu verstehen. Auch die technischen Entwicklungen haben an den herausgebrachten Setzungen gerüttelt. Lautsprecher, Soundsampling, synthetische Tonerzeugung machen Klänge jeglicher Art unabhängig von ihrer aSchallquellen und sie machen sie an jedem Ort verfügbar. Klänge können durch computergesteuerte Systeme heute zeitlich exakt im Raum verteilt weden. Utopische Entwürfe klingender Räume, deren Gestaltung nicht nur zum Sehen, sondern auch zum Hören bestimmt ist, wurden realisierbar. Am Ende des 20. Jahrhunderts, das in manchen Jahrzenten nur wie eine Nachgeschichte wirkte, zeigen sich neue, in sich reich differenzierte Kunstformen einer Integration von Raum, Zeit und Klang, die mehr sind als nur ästhetische Innovationen, weil sie an prinzipielle Fragen des Erkenntnisvermögens rühren.

 

Bernhard Leitner begann 1968 Ton als architektonisches, skulpturales Material zu entdecken und damit räumliche Untersuchungen vorzunehmen. In den Katatlogtexten zu seinen Tonräumen spricht er seitdem von atmenden, sprechenden, wogenden, federnden, zukkenden, langsamen, gekneteten, gewölbten, flackernden oder prickelden Räumen. Nur so viele Attribute seien hier aufgezählt, wie verdeutlichen, daß neben akustischen Eindrücken visuelle (gewölbt, flackernd ...) und haptisch-kinästhetische Qualitäten (prickelnd, geknetet, wogend ...) eine Rolle spielen. Was ist Raum? Einige prinzipielle Überlegungen zu dieser Frage seien ausgeführt.

 

Die Raumwahrnehmung besteht nicht nur aus der Ansicht von vier oder acht Ecken. Sie geht vielmehr aus einem komplizierten Integrationsprozeß hervor, an dem visuelle, aktustische und haptisch-kinästhetische Eindrücke eine Rolle spielen. Das Auge reicht am weitesten, aber es vermittelt Vorgänge, die neben oder hinter einer Person spielen, sehr schlecht. Das Ohr dient hier zum Ausgleich, mit ihm können wir im Dunklen sehen, weil die Reflexion von Schallquellen Auskunft über das Volumen eines Raumes gibt. DIe Reichweite des Ohres ist jedoch kleiner als die des Auges. Haptisch-Kinösthetische Eindrücke erschließen den Nahraum und sie geben lebenswichtige Aufschlüsse über die eigene Körperposition. Darüber hinaus werden geometrische Operationen erlernt. Höhe, Breite und Länge können in Zentimetern vermessen werden. Die abstrakt begrifflichen Angaben beschreiben aber nicht die Orientierung im Raum. Denn der geometrische Rasum ist ein Beziehungsgeflecht von Punkten, für das der Standort eines Subjekts keine Rolle spielt. Daß in eine gleiche DIstanz nach unten zu schauen, etwas anderes bedeutet (zum Beispiel Schwindel vor dem Abgrund), als nach oben zu sehen, ist für die geometrische Bestimmung irrelevant. Und nur in schwierigsten mathematischen Operationen wird deutlich, was im Anschauungsraum selbstverständlich ist. Er impliziert eine vierte Dimension: Die Zeit. Das Sehen ist ebenso mit zeitlichen Bewegungen (nämlich der von Blicken) verbunden wie kinästhetische Eindrücke. Vor allem das Ohr ist ein sensibler Bewegungsindikator, der aus zeitlichen Vorgängen Raum erschließt, sofern Geräusche vorhanden sind oder gemacht werden. Der ursprüngliche Anschauungsraum ist in unserer Kultur zunehmend mehr überformt und damit auch reduziert worden durch geometrisch bestimmte Topologien, weil über berechenbar Maße leichter kommuniziert werden kann und sie auch genau auf einem Reißbrett festgehalten werden können.

 

Bernhard Leitner hebt in seinen Arbeiten diese Reduktion auf eine Reißbrettarchitektur auf. Stattdessen werden Räume entworfen, die sowohl die subjektive Positionierung berücksichtigen, als auch dem Wahrnehmungsvermögen umfassend Rechnung zu tragen versuchen. Wie aus der Aufzählung einiger Beschreibungskategorien hervorgeht, sind seine Tonräume zu hören, zu sehen und zu spüren und sie besitzen eine zeitliche Dimension. Wichtigstes (aber nicht ausschließliches) Arbeitsmaterial ist der Klang, der über viele im Raum installierte Lautsprecher, gesteuert von einem komplizierten Computersystem, verteilt wird. Je neutraler der geometrische bestimmte Raum ist, umso mehr ist er formbar. Verspannungen werden durch diagonal durch den Raum gezogene Klänge gebildet; Wölbungen über Höhen nach oben. Um einen räumlichen EIndruck wandernde Klänge zu erzeugen, isr es notwendig deren Amplitude exakt zu berechnen und ihre Aufeinanderfolge genau zu kalkulieren. Leitners Raum-Zeit-„Partituren“ können sich dafür heute die Computertechnologie zunutze machen. In der Sprache des Musikers würde es heißen, daß durch eine Polyphonie von Crescendo und Decrescendo Linien, Zacken, Wölbungen durch den Raum gezogen werden können. Solche Tonräume sind immer durch die sich bewegenden Klänge Zeiträume. Die Installation eines Tonraumes mit wechselnden „Programmen“ in einem Treppenhaus der Technischen Universität Berlin (1984) kann durch den Verkauf der Klänge zwischen den Lautsprechern den Raum sogar zum Kreisen oder zum Drehen bringen. Wer den Tönen mit den Augen zu folgen versucht, erfährt, daß er Raum ohnehin immer nur als zeitliche Verlaufsgestalt unterschiedlicher Blickwinkel und Blickbewegungen erfahren kann. Er erlebt in der künstlerischen Gastaltung zusätzlich, wie überraschend vielfältig eine Umgebung gestaltet sein kann.

 

In prickelnden Räumen mit rhythmischer schnell aufeinanderfolgenden Tönen wird deutlich, wie sehr das Insgesamt körperlichen Empfindens die Raumwahrnehmung prägen kann. Der tönende Raum wird hierbei haptisch gespürt, was Bernhard Leitner einmal mit dem Satz umriß: Mit dem Knie hört man besser als mit den Waden. Immer wieder hat er auch betont, daß Tonräume Innenräume sind. Dies gilt auch, wenn sie als Felder auf einer Außenfläche installiert sind (Ton-Feld 1992), als ein Ton-Tor (1990) sich vor einer Fassade aufrichten, oder in eine Parklandschaft eingelassen sind (Le cylindre sonore, Paris 1990). In den Feldern hört man tatsächlich mit den Knien besser und erlebt, wie der aufsteigende Klang sich beruhigend schützend über die Ohren legt und den Lärm einer verkehrsreichen Straße auslöscht. Durch das Tor muß man gehen und im Zylinder, dessen beide Betonschalen wie der Resonanzkasten eines Musikinstruments wirken, als Spaziergänger verweilen. Der Innenraum ist auf die körperliche Präsenz eines Menschen bezogen, dessen sinnliche Vermögen aus den Alltagsroutinen herausgenommen werden. Raum ist für Leitner kein leeres Gehäuse, sondern ein in seinen Beziehungen zu menschlichen Bewegungen, Handlungen, zum Gehen oder Sitzen, zum Ruhen und konzentriertem Spüren gestalteter Ort. Insofern ist das Thema seiner Arbeiten nicht der Raum, sondern der Mensch im Raum. Besonders deutlich wird bei seinen Ton-Objekten, daß in den „Innenräumen“ die Klangarchitektur dazu dient, multisensorische Empfindungen zu integrieren und eine gesamtkörperliche Erfahrung eine große Rolle spielt. Tonbewegungen können stehend oder liegend, von den Füßen den ganzen Körper hinauf oder entlag laufen. Bei der Ton-Liege, auf der man ruhend einen tiefen Klang zwischen Fuß und Kopf hin und her schwingend verspüren kann (andere Klangformen sind denkbar), dominiert die kinästhetisch-haptische Erfahrung über die gehörte, obwohl sie durch diese bewirkt wird. Der Raum wird zum Nahraum, auch wenn die Liege in einer großen Halle steht. Denn er scheint als eine Bewegung vom eigenen Körper herauszugehen, oder durch ihn hindurchzufließen. Tonräume können auch ganz eng um den Körper gelegt werden, wenn die Lautsprecher in einem Anzug verstaut sind. Einen kleinen Raum, in dem die Töne angenehm prickelnd auf die Haut zu perlen scheinen, hat Leitner unter einem schwarzen Regenschirm aufgespannt. Man schaut darunter gut behütet und abgeschirmt in den größeren Umgebungsraum.

 

Ausgangen ist Bernhard Leitner von Untersuchungen, in denen die Bewegung von Tönen vor allem gespürt werden sollte, zum Beispiel eine Pendelbewegung, die am Körper entlang lief und auf der anderen Seite wieder hochgezogen wurde. Beim Hören im engeren Sinne, das in späteren Arbeiten dann in sehr differenzierten Formen eine Rolle spielt, sollten sich neben dem damals technisch noch schwierig zu erzeugenden Eindruck der Wanderung eines Tones vor allem die intermodalen Qualitäten des Klangs entfalten: Schwere oder Leichtigkeit, Tiefe oder Helligkeit. Töne, die prickeln, müssen nicht nur punktförmig aufeinanderfolgen, sondern auch hell und spitz sein. Daß Töne und Klänge nicht nur eine Höhe (Frequenz) und Lautstärke (Amplitude) haben, sondern auch Farb- und ausgeprägte Volumeneindrücke hervorrufen, spielt in den Installationen von Leitner eine große Rolle. Die visuellen Eigenschaften des akustischen Materials arbeitet er an den Schwingungsformen prägnant heraus. Die Architektur, die zum Klingen gebracht wird, kann konzertartig gehört werden. Die Ton-Räume und -Objekte sind aber in erster Linie als Konstruktionen zu verstehen, die eine grundsätzliche Besinnung auf den Anschauungsraum voraussetzen, um in ihrer künstlerischen Bedeutung erfahren werden zu können.

 

Sie sind fast immer auch mit konkreten visuellen Informationen verbunden, es sei denn man konzentriert sich, was bei der Tonliege möglich ist, auf den eigenen Innenraum. Außer ganz neutralen Gehäusen, die offen sind für die verschiedensten Formen einer akustischen Sekundärarchitektur, gestaltet Bernhard Leitne optisch und zwar so, daß er andeutend für das Auge verfährt und damit eine Übergangszone zwischen Hören und Sehen berührt. In der grünen Maserung (Tonfeld 4) scheint der Klang von Steinplatte zu wandern Die mit blauen Membranen überzogene Decke einer Vorhalle (Blaues Wölben, 1994), die sich konkav oder konvex wölben können, wird leicht mit dem Klang assoziiert, der von acht darunter (die Decke nicht berührenden) aufsteigenden blauen Säulen ausgestraht wird. Der Raum, akustisch und visuell bewegt, dehnte sich aus, verengt sich. DIe Grundlage der bearbeiteten Klänge sind luftige Flötentöne, Rascheln von Wind im Maisrohr. Der Raum ist durchweht. Der Raum atmet.

 

Was ist Raum? Es ist dies die Hauptfrage, mit der mich die Arbeiten von Bernhard Leitner konfrotieren. Raumist ein Ort, in den man einbettet ist, an dem sinnliche Wirklichkeitserfahrung und künstlerische Gestaltung konvergieren können.