Peter Weibel
Zur Arbeit Moving Heads
Neue Galerie Graz, 2007/ 2008
Das barocke Treppenhaus der Neuen Galerie in Graz findet seinen oberen Abschluß im Deckengemälde "Aufnahme Ganymeds in den Olymp" (um 1756) von Philipp Carl Laubmann. Darunter befindet sich die Installation. Auf drei Säulen sind allseitig bewegliche Köpfe montiert, die einzeln programmierbar sind. Sie können sich bewegen, aber auch inne halten und still stehen. Auf jedem dieser drei Köpfe ist ein Parabolspiegel montiert, in dessen Brennpunkt ein Piezo-Hochtöner das ihm zugeleitete Klangmaterial zur Schale abstrahlt, die den Klang gebündelt in den Raum projiziert.
Das auffälligste Moment der sonischen Skulptur sind die beweglichen Parabolspiegel und deren Piezo-Hochtöner, die wie Antennen wirken. So entsteht der Eindruck, dass diese Parabolspiegel nicht nur Klänge ausstrahlen, sondern durch ihre Bewegung auch Signale suchen, empfangen und weiterleiten wie Satellitenschüsseln. Die Parabolspiegel tasten gewissermaßen die Umwelt auf der Suche nach verborgenen Tonquellen ab, vor allem den Himmel, der sich gemalt über ihnen wölbt. Die Parabolspiegel öffnen sich dem Himmel und saugen scheinbar aus dem All die Klänge ab, die kosmische Hintergrundstrahlung, die Geräusche explodierender Galaxien, die geheimen Botschaften extraterrestrischer Intelligenzen. Wir vermeinen siderische Klänge zu hören. In Wahrheit hören wir überarbeitete abstrahierte Aufnahmen eines perkussiv rauschenden Feldes in der Natur.
Der Himmel verweist auch auf die berühmten Botschafter des Himmels, die Engel. Wir wissen, mit den Engeln beginnt die Nachrichtentechnik Signal- und Datenübermittlung. Unsere Welt war schon immer um Botschaften organisiert und die Engel waren die himmlischen Boten, die Nachrichten verbreiteten und unablässig neue Karten des Universums verzeichneten.
Die Installation Moving Heads steht mit ihrer avancierten computergestützten Technologie nur scheinbar in Kontrast mit dem barocken Himmelsgemälde. In Wirklichkeit bildet sie eine Konstellation, die uns kognitive Erlebnisse aus akustischen und visuellen Signalen gewährt. Diese Konstellation trifft den Kern des künstlerischen Interesses und des ästhetischen Imperativs von Bernhard Leitner, nämlich zwischen der Klangkunst und der Baukunst eine rationale und künstlerische Beziehung herzustellen. Der Ton ist ohne den Raum nicht zu denken, Klangkunst ist auch Raumkunst. Der Schall und seine Gesetze waren lange Zeit ein Mysterium, ein Medium der Magie. Leitner hat über Jahrzehnte diese Beziehung zwischen Klang und Raum, die Architektur des Klanges, wissenschaftlich erforscht.
Leitner installiert im Stiegenhaus der Neuen Galerie „gerichteten Klang“. Der Ton bewegt sich und trifft zufällig auf den bewegten Zuhörer. Der Zuhörer steht und wartet auf den Ton, der plötzlich in voller Stärke auf die Membran seiner Hörmuschel trifft. Der Parabolspiegel steht, der Ton ist in eine Ecke des Raumes gerichtet und der Zuhörer bewegt sich auf den Ton zu. Das Verhalten im Raum verändert das Verhalten des Klangs. Zwischen Ton und Zuhörer bildet sich ein dynamisches Feld. Moving Heads sind beide, die Kopfhörer und die hörenden Köpfe, die Piezo-Hochtöner und die Ohren.
Die visuelle bzw. skulpturale Installation des Klangs, der Aufbau aus technischen Elementen in Kontrast und Korrelation zum barocken Stiegenhaus und Gemälde, ist ein außergewöhnliches Hörerlebnis, nämlich die zufällige Begegnung von Klang und Hörer im Raum, die räumliche und zeitliche Dynamik des Zuhörers und des Tons, die körperliche Navigation durch ein dynamisches Klangfeld, das weit über ein Konzerterlebnis hinausgeht. Diese spezifische Konstellation von Klang und Raum reflektiert nicht nur das Universum des Klanges, sondern auch den sozialpsychologischen Zustand der Welt. Die Parabolspiegel erwecken nicht nur den Eindruck von Tonstrahlern, sondern auch von Signaldetektion. Die Geräte wirken daher ein wenig bedrohlich, wie ferngesteuerte oder automatisierte Androiden, die auch auf der Suche nach uns sind, die wir diese Geräte beobachten.
Die Parabolspiegel sind also Boten aus einem ambivalenten Universum des Klangs. Diesen erkenntnistheoretischen Horizont über eine Klangskulptur, über eine künstlerische Gleichung zwischen Klang und Architektur, eröffnet zu haben, ist ein wegweisender Beitrag für die Entwicklung der sonischen Kunst.
Es war lange ein Wunsch der Menschen, Schallwellen wie Lichtwellen behandeln und kontrollieren zu können. So wie das Licht als Strahl gelenkt und gesteuert werden kann, sollten auch Tonwellen gelenkt werden können. Leitners Skulpturen mit Parabolschalen ermöglichen dies. Damit hat der Ton sich verselbständigt. Die Dislokation des Tons, die Befreiung des Tons von seiner lokalen Quelle hat damit jenen Zustand der Abstraktion erreicht, den die Farbe erlangte, als sie sich von der Lokalfarbe, die an den abgebildeten Gegenstand gebunden war, zur absoluten gegenstandsungebundenen Farbe emanzipierte. Leitners Klanginstallation ist daher ein Triumph des absoluten Tons.