back

Detlef B. Linke


Zur Ton-Liege

 

Auszüge aus einem Gespräch mit Bernhard Leitner, 1986

 

 

Bei der Beschäftigung mit den Ton-Räumen und der Ton-Liege von Bernhard Leitn er interessiert uns besonders ein dreifacher Aspekt, einerseits die Psychosomatik, die Neurophysiologie und auch philosophisch-psychologische Fragen, die damit in Zusammenhang stehen. Wir führen experimentelle Untersuchungen mit den Methoden der Neurophysiologie durch und schauen nach den psychoso-matischen Effekten der Ton-Liege. Dabei werden mehrere technische Methoden benutzt.

 

Es wird die Elektroencephalografie, die Elektromyografie und die Thermovision eingesetzt. Es wird zum Beispiel mit dem EEG der Effekt auf die Wachheit und auf das Bewusstsein geprüft. Wir konnten feststellen, dass zum Teil tiefere Schlafstadien, Schlafstadium II zum Beispiel unter der Beschallung durch die Ton-Liege nach fünfzehn Minuten durchgehend erreicht wurden. Weitere Untersuchungen laufen dazu noch. Es gibt Hinweise dafür, dass die Muskulatur sich erheblich entspannt. Erste Untersuchungen mit der Elektro- myografie konnten dies belegen. Es wurden dafür ausgewählte Muskelpartien herausgegriffen und untersucht. Es wurde mit der Thermovision nachgewiesen, dass einige Körperpartien eine deutliche Erwärmung unter der Ton-Liege aufweisen. Im Bereich der Wadenmuskulatur und im Bereich des Brustraumes kommt es zur deutlichen Erwärmung.

 

Uns interessiert aber neben diesen praktischen psychosomatischen Effekten auch der theoretische Kontext, der einer neurophysiologischen Interpretation zugänglich ist. Uns interessiert insbesondere die Frage wie der subjektive Raum in einem Klangbezugssystem konstituiert wird. Es ist ja ein altes Problem, nicht nur der Philosophie, sondern auch mittlerweile der Neurophysiologie, wie ein subjektiver Raum entworfen wird. Leitner hat mit seinen Ton-Räumen - die wir hier jetzt noch nicht experimentell untersucht haben, die aber nun doch auch neurophysiologisch zu interpretieren sind - doch eine ganz neue Dimension der Raumperzeption eröffnet. Insofern als hier nicht visuelle Räumlichkeiten, sondern eher akustische Räumlichkeiten dem Subjekt vorgeführt werden. Es kommt zu ganz neuen subjektiven Empfindungen in diesem Zusammenhang. Bei der Erprobung der Ton-Liege beispielsweise geht oft das Gefühl der Kinästhesie und der Standfestigkeit für die Dimension der Füße verloren. Man kommt in eine Empfindung des Schwebens und dies ist doch schon von grundsätzlicher theoretischer Bedeutung. Es gibt einige Hinweise für die Frage inwieweit Kinästhesie und andere Sinnessysteme beim Aufbau des Raumes eine Bedeutung spielen. Und es ist von besonderem Interesse auch inwieweit Raum vom eigenen Körperschema her entwickelt und entworfen wird. Das Empfinden des Wogens auf der Ton-Liege wird ja doch auch in deutlicher Beziehung zu dem Wandern dieser Klangphänomene vom Fuß zum Kopf zu sehen sein und man muss doch annehmen, dass hier die Kinästhesie aus dem Bewusstsein verdrängt wird und sich sozusagen ein ganz anderer subjektiver Raum entwickelt. Dies ist ja auch von großem Interesse im Zusammenhang mit Projekten der Weltraumforschung, wo ja auch untersucht wird, inwieweit unser Raumempfinden allein von der Schwerkraft oder inwieweit es vom visuellen System getragen wird. Hier kommt jetzt eine ganz andere, eine dritte sensorische Dimension herein und es ist von Interesse, wie unsere alten evolutionären Systeme auf diese Erfahrung reagieren. Hier wird das Klangliche sozusagen der entscheidende Bezugspunkt bei den Versuchspersonen.

 

Es ist ja überhaupt auch eine philosophische Frage, inwieweit der Raum subjektiv zu deuten ist. Bei Kant beispielsweise hatte sich die Konzeption in den Vordergrund gedrängt, dass der Raum als etwas zu sehen ist, das keine Teilräume aufweist. Das heißt, jeder Teilraum ist sozusagen als ein ganzer Raum wieder zu denken. Das war fundamental für Kants Entscheidung, dass Raum etwas nicht Begriffliches sei, weil Raum nie etwas unter sich begreift, was Teilräume sind, sondern diese Teilräume sind ja immer jeweils auch wieder Raum. Es gibt aber auch andere Konzeptionen des Raumes, wie sie im Asiatischen und auch bei Heidegger stärker artikuliert wurden. Sie gehen davon aus, dass der Raum aus den Gegenständen heraus seine Entfaltung erfährt, als Zwischenraum beispielsweise. Man denkt an Lao-Tse bei dem die Leere zwischen den Speichen des Ochsenkarrens entscheidender ist als die Speichen selber. Ähnliche Motive hat Heidegger aufgenommen, der sozusagen den Raum von den Zwischenräumen her denkt. Diese Fragen können und werden durch die Leitnerschen Konzeptionen wieder aktiviert, weil hier aus Klängen heraus selber ein Raum konstituiert ist, was eben nicht das Gewöhnliche für unsere Erfahrung ist. Wir werden dazu u.a. angeregt, über die Konstitution des Raumes nachzudenken. Das stellt eben eine seit langem klassische Frage dar. Beispielsweise wurde bei den Enzyklopädisten die Frage diskutiert, inwieweit Blinde eine Raumvorstellung haben. Das war eine zentrale Frage damals für die Philosophie und die Medizin hat gezeigt, dass man sozusagen auch kinästhetisch sich den Raum erarbeiten kann.

 

Die Frage inwieweit vom Akustischen her ein Raum konzipiert werden kann, wird gerade eben durch das Leitnersche Konzept integriert. Es stellt für die Physiologie ein interessantes Thema dar. Gerade die Verfremdungseffekte - könnte man sagen - die sich bei der Wahrnehmung über neue Sinneskanäle ergeben, Wahrnehmung eines eigentlich alten Phänomens - eben der Raumkonstellation - sind von großem Interesse. Wir haben den Eindruck, dass die Korrelation zwischen Atmung und dem Rhythmus der Beschallung auf der Ton-Liege auch zu ganz neuen Perzeptionsdimensionen führt. Es gibt diese Theorie beispielsweise über die Sprachperzeption, die besagt, dass wir Sprache derart perzipieren, dass wir sie innerlich nachartikulieren, dass sozusagen eigene spontane Mechanismen erst aktiviert werden müssen, um rezeptiv wirksam zu werden, da- mit das Subjekt rezeptiv wirksam oder wirkend wird. Das heißt die Atmungskorrelation zum Tonrhythmus müsste jetzt nicht nur als ein psychosomatische Phänomen der Korrelierung gedacht werden, was ein Sekundärereignis darstellt, sondern es könnte auch so sein, dass hier über den Atemrhythmus eine stärkere Wahrnehmung der Schallereignisse erfolgt. Das heißt in der Motortheorie der Sprachwahrnehmung, dass die Nachartikulation erst das Gesprochene wahrnehmen lässt. Das Gehörte wird über die innere Atmung auch noch einmal wahrgenommen. Wir haben also einen Umweg in der Wahrnehmung, der über die tiefsten Wege dieser Mechanismen verfährt. Auf diese Weise kommt es zu einer sehr subjektzentralen oder sagen wir einmal lebensnahen Wahrnehmung dieser Phänomene, so dass diese Phänomene nicht einfach als ein Phänomen nur der Akustik, sondern auch der Vitalität im innersten Kern des Subjekts anzusehen sind, wenn die vegetativen Mechanismen in diesem Maße hineinkommen. Das gleiche gilt auch für die Parameter des EKG, die wir auch zum Teil mitgemessen hatten. So dass man einerseits psychosomatische Effekte hat, andererseits auch Beziehung zwischen den Sinnessystemen, die eine Herausforderung für die Modelle der Neurophysiologie darstellen und auch für die Reflektion über das Phänomen des Raumes wie man es in der Philosophie findet.

 

Es gibt seit fünfzig Jahren sehr viele Untersuchungen über die Frage, inwieweit Blinde einen Raum entwickeln. Das findet ja tatsächlich statt. Sie haben eine Raumvorstellung, die sich am Kinästhetischen orientiert. Wenn jetzt Klang-Räume erstellt werden, oder wenn Klangphänomene dem Körper nahe gebracht werden, dann wird ja das Raumvorstellungsvermögen gefordert. Es wird ja nicht die bloße akustische Signalanalyse gefordert. Jetzt ist es von großem Interesse zu sehen, wie sozusagen das Raumvorstellungsvermögen hier an die Akustik angekoppelt wird. Da kann man auf der Hirnbasis Modelle entwickeln. Es zeigt sich, dass sich hier auch, wie in vielen anderen Bereichen der Hirnforschung, das Faktum bestätigt, dass eine enorme Plastizität unseres Nervensystems vorliegt. Eine enorme Plastizität mit den verschiedenen Sinneskanälen um- zugehen, derart, dass wir sozusagen supramodal mit den Sinnen spielen können und Raumphänomene eben nicht an ein bestimmtes sensorisches Gebiet gebunden sind. Früher meinte man, dass sie ganz dem Visuellen zuzuordnen seien. Man kann bestätigen, dass es zumindest für die Kinästhesie auch so etwas wie eine Entwicklung einer Raumkonzeption gibt und diese Erfahrung mit den Ton-Räumen sprechen dafür, dass hier auch Entsprechendes im akustischen Bereich anzusiedeln ist. Das heißt nur nicht, dass die Räume sich beliebig oberhalb der Sinnesschwelle oder oberhalb des sinnlichen Bereiches konstituieren. Die besondere Färbung wird natürlich schon durch die Eigenarten der ausgewählten Sinneskanäle gegeben.

 

Die Rhythmizität ist noch ein besonderer Aspekt. Es kommt die Zeit hinein. Den Raum gibt es ja nur in der Abstraktion, der sich außerhalb der Zeit abspielt. Wir haben in einem Raum - man sieht es an den Blickbewegungen - immer die Zeitlichkeit darin. Die Malerei ist auch nicht außerhalb der Zeit. Diese Rhythmizität ist auch konstituierend für den Raum. Man könnte natürlich das Zeitphänomen hier noch einmal von der Ton-Liege her diskutieren. Das heißt, diese Rhythmizität steht in Beziehung zu gewissen Urrhythmen unseres biologischen Organismus, die sich im Puls, in der Atmung und vor allem auch in den Hirnfrequenzen niederschlagen.