Kunstraum München (EA)
DIE AUDIO-KÖRPERLICHE ERFAHRUNG
TON:RAUM-Erkundungen von Bernhard Leitner im KUNSTRAUM
Akustische Erforschungen des Raums, räumliche Klangkonstellationen sind nlchts Neues. Von den alten Venezianern ("Mehrhörigkeit") über Richard Wagners "Liebesmahl der Apostel" (Chor von oben) und Mahlers Zweite Symphonie (Orchester von fern) bis hin zu Stockhausens "Gruppen" oder "Musik für ein Haus" - immer ging es Komponisten auch darum, die in der Zeit sich ausdehnende Musik räumlich zu determinieren, mit spatial veränderbaren Hör- und Bewußtseinsmöglichkeiten zu spielen. Aber es ging all diesen Musikern doch in erster Linie um "Werke" und deren Präsentation.
Die Thematisierung, die Gestaltung des Raums selbst durch unsichtbare, jedoch hörbare akustische Strukturen ist neueren Datums; Komponisten wie La Monte Young, Charlemagne Palestine, Hans Otte oder Nam Jun Paik - teilweise beeinflußt durch die Happening & Fluxus-Bewegung, durch Amerika - haben auf diesem Terrain seit den sechziger Jahren mit Aktionen, Performances und Installationen gearbeitet. Aber auch bei ihren Klangraum-Experimenten interessierte noch primär die aus gestaffelten Klangquellen strömende Musik, die meditative Übung und Stimmung, handelte es sich letztlich um "Konzert".
Anders bei dem österreichischen Architekten Bernhard Leitner, der seit zwölf Jahren in New York lebt und nicht von der Musik, sondern von der Raumgestaltung ausgeht. Seit zehn Jahren konzipiert und entwirft er experimentelle „Ton:Räume", von denen jetzt einzelne Beispiele im Kunstraum München (in der Nikolaistraße 15) ausgestellt sind. Leitner, der seit einem Jahrzehnt an den Projekten arbeitet und vor knapp einem Jahr im Wiener Museum moderner Kunst einen umfassenden Überblick darauf freigab, erstrebt nicht weniger als eine neue Raumbestimmung mit Hilfe des Bausteins Ton. Dementsprechend dient ihm als Basis das Material der Tonwelt: Dynamik. Frequenz, Lautstärke und Farbe des Klanges. Und vor allem jene präzise Schalttechnologie - die exakte zeitliche und dynamische Befestigung des Tons an einer Vielzahl von Lautsprechern -, die erst die Entwicklung der Mikroprozessoren ermöglichte.
Leitner demonstriert in München seine interdisziplinäre ,.Kunst" aus Architektur, Skulptur, Musik, Technik, Bewegung und Psychologie hauptsächlich anband zweier Beispiele: der TonLiege mit zwei Lautsprechern, in deren wandernden Klang (vom Fuß zum Kopf und zurück) sich der Beobachter liegend hineinbegibt, und einer vertikalen Ton-Raum-Situation, in der die Dimension eines Klangraums mit Kuppel von unten nach oben erfahren wird. Programmierung und Ablauf der Töne geschehen übrigens durch ein eigens entwickeltes Computer-Schaltgerät; mit zahlreichen ausgehängten Skizzen dokumentiert Leitner die Entfaltung seiner Tonarchitektur, zu der auch utopische Projekte wie der Lautsprecher-Flügel (Abbildung) gehören. .“Mit Tönen baue ich Räume"; sagt Leitner; "die vertikal federn, drucken. die schwingen, die sich abheben und niedersinken ..... deren Grenzen, Aussage', und Sinn sich in einem zeitlichen Ablauf ändern.“
So wird der Ausstellungsraum zum Labor, in dem der Besucher an Experimenten teilnimmt, die seinen ganzen Körper, nicht nur das Ohr, zu Tonstrukturen in Beziehung setzen und ihm - allerdings mit unterschiedlicher DeutIichkeit"- eine durchaus neue Erlebnisweise vermitteln –
„die audio-körperliche Erfahrung". (Bis zum 20. Februar.)
WOLFGANG SCHREIBER
Sueddeutsche Zeitung
6./7.Februar 1982